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Das Filmprojekt: Teil #03 Konzept vs. Realität

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Der große Showdown meiner Artikelreihe über Filmprojekte mit Kindern. Im Finale dreht sich alles um mein bisher größte Kreativ-Projekt mit Kindern. Am Ende spekuliere ich darüber, wie es danach weitergehen könnte.

Im ersten Teil dieser Artikelreihe habe ich von meinem Plan, Hinterhof-Filme zu drehen, berichtet und meine Herangehensweise erleutert. Im zweiten Teil ging es vornehmlich um die Herausforderung, Vater und Projektleiter in Personalunion sein zu müssen. Ich habe auch ein wenig reflektiert, wie ernst man ein Kreativ-Projekt mit Kindern nehmen darf (oder sollte). Bevor Du hier nun weiter liest, sieh Dir die beiden vorangegangenen Artikel an, denn ich werde in diesem letzten Teil immer wieder Bezug auf sie nehmen.

Zum ersten Teil und zum zweiten Teil

Projekt #03: „Agenten“

So easy, wie mit den Meerjungfrauen, wo sich die Kinder untereinander kannten oder wie das Musikvideo, wo wir als Familie mal eben in den Wald gegangen waren, würde es bei den „Agenten“ nicht so leicht werden. Schließlich durfte jedes meiner Kinder eine*n Freund / Freundin in das Projekt einladen. Die Kumpels von meinem Sohn kannte ich ja schon – die von meiner Tochter, bedingt durch den Schulwechsel im letzten Herbst – noch nicht. Ich setzte mich also an ein Konzept, strickte daraus eine Einladung. Darin stand: Wo, wie, wann und unter welchen Bedingungen unser Hinterhof-Kurzfilm entstehen sollte. Und die sahen wie folgt aus.

Das Konzept

Es sollten wöchentliche Treffen von Ostern bis zum Beginn der Sommerferien stattfinden, an denen wir vier Stunden Zeit für die Arbeit an unserem Film haben. Ich wählte mir das Geheimagenten-Thema, weil es als Hinterhof-Produktion leichter umzusetzen sein sollte, verglichen mit einem Fantasy‑Setting. Die Fertigstellung des Films ließ ich offen. Die Kids sollten in allen Bereichen experimentieren können und Mitspracherecht haben. Die zwei letzten Punkte waren: die Arbeit in der Gruppe als Team, sowie Spaß und Leichtigkeit. Für Spaß und Leichtigkeit braucht es einen Freiraum. Dazu trägt bei, dass die Freundschaften der Kinder nicht durch die Arbeit am Projekt belastet werden. Darum schrieb ich in die Einladung, dass es notwendig ist, dass die Freundespaare außerhalb von Schule und Projekt Freizeit miteinander haben sollten. In der Endphase des Projekt wurde genau dieser Punkt wichtig und es war gut, immer ein Auge darauf gehabt zu haben. Dieselbe Regel galt allerdings auch für meine Kinder und mich. Wir verbrachten Zeit außerhalb des Projekt und des Familienalltags miteinander, damit ich im Projekt dann der Regisseur sein konnte.

magnetisiert!
Der Versuch eines Gruppenselfies beim „Magnetischen Bild“

Wenn ich jetzt auf das Konzept drauf schaue, bemerke ich fehlende Punkte, aber auch, dass ich mich nicht immer daran gehalten habe. Schuld ist der Punkt „experimentieren“. Den hatte ich ein wenig zu weit ausgelegt, was aber immens bereichernd war – vor allem für mich. Im Feedback der Kids taucht das weniger auf, im Ergebnis des Projekt jedoch schon. Zum einen, weil von dem Kurzfilm lediglich vier Minuten gedreht wurden, zum anderen, weil die Kinder die Szene ohne Drehbuch und somit ohne Textlernen spielen konnten. Wie jedoch ein mögliches Scheitern des Projekt gehandhabt wird, fehlte dem Konzept.

Als „Dirty Fix“ habe ich die Kids gebeten, an unserem letzten Tag (und einzigen Drehtag), Interviews für einen fiktiven YouTube-Chanel zu führen. Aus den vorhandenen Video unseres Projekts und den Interviews habe ich eine 40-minütige Doku zusammen geschnitten. Allerdings unter enormen Zeit- und Leistungsdruck und ohne die Beteiligung der Kids – das hätte besser klappen können.

Konzept vs. Realität

Gleich nach der Erstellung des Konzepts kollidierte meine kreative Vision mit der harten Alltagsrealität. Steffi reklamierte in die vier Stunden Videoprojekt eine Stunde Mittagessen und Lernzeit für die Kinder hinein, was die Eltern der Gastkinder sehr freute. Ich hingegen konnte die Notwendigkeit anerkennen, jedoch rebellierte mein Künstlerherz. Eine weiteres Stück Zeit wurde dem Weg-Zeit-Diagramm der Kinder geopfert, sodass unterm Strich 2,5 Stunden netto pro Woche für das Projekt übrig blieben. (Jetzt könnte ich über die hohe Alltagsbelastung unserer Kinder fabulieren, lasse es aber lieber bleiben.)

Mit meinen Kindern hatte ich ja vereinbart, dass sie jeweils einen Freund oder eine Freundin zu dem Projekt einladen durften. Ich drückte ihnen die Einladung in die Hand und schickte sie los. Naja, herausgekommen ist eine tolle Lernerfahrung in punkto Elternarbeit. Ich vertraue meinen Kindern und sie wussten auch sehr genau was wir vorhaben, aber es wäre dennoch klüger gewesen ZUERST selbst mit den Eltern zu reden, ihnen erst DANN die Einladung in die Hand zu drücken und ZULETZT mit den betroffenen Kindern zu reden und ihnen die finale Entscheidung zu überlassen. So hagelte es Missverständnisse und böse Nachrichten. Zwar konnten die Missverständnisse beseitigt werden, aber nach diesen peinlichen Episoden bleibt dennoch ein gewisses „Geschmäckle“ zurück.

Noch vor der Figurenentwicklung
Auf die Frage, was und wer das Böse und das Gute in einem selbst sei.

Schließlich startete das Projekt mit einiger Verzögerung, und wir schafften tatsächlich elf Einheiten (was ca. 33 Workshop-Stunden entspricht) bis zu den Sommerferien. Nach der dritten oder vierten Einheit hatte sich eine Routine eingestellt: Etwas Witziges, Actionreiches zum Aktivieren; eine Improvisationsübung; eine Arbeit zum Projekt, bei der man sich konzentrieren muss, gefolgt von einer Schokoriegelpause. Als Übergang ein wenig Plauderei (über bestimmte Themen, freilich); anschließend entweder eine komplexere oder aktivierende Übung, oder eine Phase von Improvisation. In den meisten Einheiten ging sich noch eine Feedbackrunde aus.

Mein „Loop“ bestand darin, unter der Woche Inspiration aus Fachbüchern zu sammeln und am Wochenende einen Zeitplan für die kommende Einheit zu erstellen. Nach der Einheit ist vor der Einheit, also standen auch Reflexion und Dokumentation auf meinem To-Do. Am Ende der Woche hatte ich einen Haufen Spiele, Übungen, Ideen „auf Halde“, sowie die Tasks für die Umsetzung des Filmprojekts. Aus meiner Notiz-App, den Büchern, baute ich mir in meinem Projektblock einen Fahrplan, den ich am Vorabend noch mal durchging – schließlich war ich aufgeregt und neugierig, denn einen Großteil davon leitete ich zum ersten Mal an.

Theater zum Leben

Im Alltag des außerschulischen Bereichs wendet die Sozialpädagogik wenig Spiel- oder theaterpädagogische Methoden an. Insofern war das Videoprojekt neben meinem Praktikum ein Ventil, um in diesem Feld zu experimentieren. Das war nicht von vorne herein intendiert – es hat sich so ergeben. Einer der Auslöser war das Buch von David Diamond – Theatre for the Living. Abgesehen davon, dass mich dieses Buch emotional weggeblasen hat, zeigte es mir eine Lösung für das Problem, das ich mit den „Meerjungfrauen“ hatte und das sich bei den „Agenten“ erneut anbahnte: Das Erarbeiten eines Drehbuchs ist für die Kids fad ohne Ende. Man könnte das umgehen, in dem man Vorgaben macht. Aber mir ist es wichtig, dass die Handlung des Films IHRE erdachte Geschichte ist. Ich musste also mit den Motiven der Kinder arbeiten – was mir nicht leicht fiel, denn neun und elfjährige Kinder sind diesbezüglich nicht gesprächig (zumindest die drei, mit denen ich bisher zu tun hatte) und die Materie ist hinreichend komplex. Ich fand jedoch einen kreativen Weg, eine Handlung ohne ein Drehbuch festlegen zu können, auf den ich im Folgenden weiter eingehen möchte.

Dass in der Theaterpädagogik Improvisation ein probates Mittel ist, um Konflikte zu bearbeiten (Stichwort: Mobbing), wusste ich schon. Aber in Theatre for the Living wurde mir als Anfänger gezeigt, wie so ein Prozess aussieht und noch mehr: Am Ende hat man eine Handlung, die von allen verstanden wird, und die reproduzierbar ist – in meiner Bedarfslage, um sie zu filmen. Das Buch hat jedoch ein großes ABER. Diamond macht Forumstheater. Er überlässt die Lösung des dargestellten Konfliktes dem Theater-Publikum, das in einem moderierten Prozess Rollen von Schauspieler*innen vorübergehend einnehmen darf. In unserem Fall mussten wir die Konflikte im Rahmen der Geschichte lösen und das war in der Tat der schwierigste Teil. Wenn das Projekt auf der pädagogischen Ebene etwas bewirkt hat, dann auf der der Konfliktbewältigung.

Die Kids lieferten Bruchstücke von Streitsituationen, wussten aber weder einen Weg, der zu der Situation führte, noch einen Weg hinaus. Um damit umzugehen, musste ich gleich zwei Schritte weiter hinten anfangen. Wir brauchten für unseren Film nicht nur eine Handlung, sondern auch eine Handlung hinter der Handlung – was schlussendlich dazu führte, dass wir nicht fertig wurden. Am Ende wussten die Kinder von jeder der sechs Figuren, wer sie ist, woher sie kommt und warum sie so handelt, wie sie handelt. Flankiert von Übungen zur Improvisation, erarbeiteten wir Figuren und einige Teilstücke der Geschichte. Immer wenn es uns gelang, eine Lücke im Plot zu füllen, fühlte sich das an wie Magie. Auf unserer digitalen Klassentafel (Miro) hielten wir die Ergebnisse fest und clusterten zwischendurch Informationen über unsere Welt. Je mehr die Kids darüber wussten, desto leichter schlüpften sie in ihre Rollen und desto leichter fiel ihnen das Spiel.

Zum Interview
Gut, Böse und das Dazwischen wurden zum Interview geladen.

Unsere Impro-Sessions filmte ich mit. So sorgte ich für die Übung in der Kamera-Führung und das sie Teil ihres Schauspiels ist (wie etwa Bühnenabgänge). Darüber hinaus für die Dokumentation des Projekts und zur Selbstüberprüfung für mich und die Kids.

Die Rollenvergabe machte ich im Vorhinein – gebrandmarkt von den „Meerjungfrauen“ – als Problemzone aus und legte mir dementsprechend mehrere Lösungsansätze bereit. Letzten Endes war es aber gar nicht so schlimm. Mir spielten die Story-Puzzleteile der Kids in die Hände! So lauteten zwei der Vorgaben unter anderem: „Zwei Schwestern“, ein Dämon, sowie „Gut und Böse“. Das legte Protagonist*innen- und Antagonist*innen-Duos nahe, was in Summe die genannten sechs Figuren ergab und Streits eliminierte. Die Verteilung der Rollen erarbeiteten wir uns mit der Methode des „Magnetischen Bildes“, die ich mit einer geheimen Wahl zusätzlich absicherte. Das Schöne dran war, dass die Abstimmungen einstimmig ausgingen.

Da unserer Gruppe eine vierte Person fehlte – und ich diesen Platz nicht einnehmen wollte – durfte eine Person zwei Rollen spielen. Da mein hehres Ziel, keine Fantasyproduktion zu machen, an den Wünschen der Kinder scheiterte und ich mich innerlich schon an Adobe After Effects (eine Software zum erstellen visueller Effekte) fluchen sah, brachte ich den Vorschlag mit den Handpuppen ein, um den digitalen Plasmabällen aus dem Weg zu gehen. Aber diese Geschichte möchte ich in einem eigenen Blogpost erzählen.

Lücken füllen

Zwei Dinge fehlten den Kids aber trotzdem: Das Wissen über Dramaturgie und praktisches Schauspielwissen.

Durch das Clustern fiel es mir einfach dramaturgische Lücke zu füllen. Ich wusste durch die bisherige Arbeit, wo die Kinder hinwollten und konnte auf diesem Weg die Einzelpunkte der Geschichte zu einer fertigen Handlung verbinden. Klar, in der Gruppe mussten wir viel darüber reden. Und ich denke, dass diese Gespräche zwar nicht unbedingt ein fachliches Wissen bei den Kindern aufgebaut hat, ihre Medienkompetenz jedoch erhöht hat. Am Ende des Projekts spielten wir die Wendepunkte unserer Geschichte durch. Die von mir eingebrachten Lösungen wurden entweder angepasst oder akzeptiert. Das Ergebnis war ein Szenenplan, der zu einem Drehplan weiter verarbeitet werden sollte.

Am Drehtag hatte ich das Glück, eine Freundin mit Schauspielausbildung (danke Karin!) dabei gehabt zu haben. Sie gab den Kids praktische Tipps und übte mit ihnen kleine Sequenzen, um das Schauspiel zu verbessern. Während ich bei den normalen Einheiten meinen Fahrplan und Steffi bei der Bewältigung des Alltags zur Hilfe hatte, wäre ein Dreh im Alleingang nicht zu bewältigen gewesen. Während ich mit meiner Technik beschäftigt war, kümmerte sich Karin um die Kids und auch um deren Kostüme. Eigentlich müsste man dabei zu dritt, und noch besser organisiert sein – das gibt mir zu denken. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es nur wenige Medienworkshops für Kids in meiner Heimat gibt.

Den Drehort inspizieren
Den Drehort checken

Die letzte reguläre Einheit habe ich unter das Motto Feedback und Reflexion gestellt. Die Kinder durften sich Mithilfe meiner Fahrpläne je eine Übungen aussuchen, die sie am coolsten fanden. Als Abschluss der Einheit hielt ich noch eine „Feedback-Runde Deluxe“. Weil die Kids das Ende des Projektes spürten, fiel diese sehr ergiebig aus. Als Hausübung bekamen sie den Auftrag Interviewfragen zu erarbeiten und diese bei dem Dreh Mitgliedern unserer Gruppe zu stellen. Das klappte besser als gedacht! Ich war sowohl über die Fragen, als auch die Antworten überrascht.

Fazit

Fragt man die Kinder, was ihnen am besten gefallen hat, dann nennen sie die Improvisations-Sessions. Es gab auch das eine oder andere Spiel, das ihnen Spaß gemacht hat. Was ich verstehe, denn das Blödeln war ein riesiges Thema – eines, das ich mir noch genauer anschauen muss. Für Aufregung und Stressbewältigung muss definitiv Raum vorhanden sein (gerade nach einem Schultag), aber es braucht auch Codewörter und Methoden, um diese Gefühle aus der Arbeit abzuleiten und zu kanalisieren. Speziell dann, wenn dieser Raum gerade nicht zu Verfügung gestellt werden kann. Vielleicht einen Clown? Oder ein Maskottchen? Die Spiele haben in diesem Punkt schon gut geholfen.

Die Kinder möchten das Projekt weiter machen und vervollständigen. Ich nehme das als gutes Zeichen – auch wenn für mich erst mal andere Verpflichtungen wichtiger sind. Zum Beispiel meine Berufsreifeprüfung und das Diplom nächstes Jahr.

Beim Sichten und Zusammenstellen der Präsentation ist mir aufgefallen, wie sich bei den Kids ohne Schauspielerfahrung langsam das Verständnis für Rolle und die Fähigkeit des Ausfüllens derselben entwickelt hat. Es braucht ein Stück innere Freiheit, um sich auf eine Rolle einlassen zu können und ich vermute, dass in diesem Punkt Handlungskompetenzen verankert sind. Auch rund um das Projekt sind Dinge vorgefallen, die dem einen Teilnehmer oder der anderen Teilnehmerin eine Erfahrung gebracht hat – menschlich sind wir alle ein Stück gewachsen. Aber darum macht man so verrückte Projekte.

Der Technik-Anteil ist in diesem Projekt leider zu kurz gekommen – er wurde aber auch nicht nachgefragt (was ich schade fand). Nachbearbeitung und Handwerk kamen auf Grund der Kürze des Projekts gar nicht zu tragen. Dafür haben wir eine Geschichte von Null an komplett aufgebaut und die dabei erschaffene Welt mit Leben erfüllt. Geschichten erzählen, ist sowieso mein Ding. Sie mittels Schauspiel, physisch und durch die Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten „im Hinterhof“ in die Welt zu bringen, erfordert praktische Lösungen und erhält dadurch seinen besonderen Reiz. Ja, es kann auch frustrierend sein, aber da komme ich halt als „Ermöglicher“, als „Joker“, ins Spiel. Das ist eine Rolle, die ich vertiefen und an der ich weiter feilen werde.

Zusammenpacken
Warum hat man bloß immer so viel Zeug dabei?

Ausblick

Ich wäre so gerne einmal bei einer „offiziellen“ Produktion mit Kindern und / oder Jugendlichen dabei. Zwar habe ich mich für die Sommerferien als Praktikant bei zwei Projekten beworben, jedoch – ihr könnt es euch denken – Corona. Und so ohne Auto, mit laufendem Praktikum und Matura-Stress, ist mein Aktionsradius leider eingeschränkt. Fix ist, dass mich das Geschichten-Erzählen nicht loslassen wird, genauso wie die Faszination an Film und der Organisation von Projekten.

Geschichten sind Metaphern, um das Leben zu verstehen. Sie sind das bisserl Magie, das in unserem Alltag übrig geblieben ist. Wir sollten sie nutzen und dazu verwenden, die Welt zu einem noch schöneren Ort in der Zukunft zu machen.

von JamesVermont
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JamesVermont aus Klagenfurt am Wörthersee ist Gestalter, Autor, Trommler und Vater 2er Kinder.

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