Tagträumen ist wichtig für die Kreativität, sagt man. Ohne diese angeblich unproduktive Tätigkeit wäre meine Kurzgeschichte über Belunes Schwert nie entstanden. Aber es geht noch weiter: Was in der kurzen Szene der Vision zu sehen war, gibt einen Einblick in das Thema einer ganzen Romanreihe.
Belunes Schwert ist eine von drei Kurzgeschichten, die ich geschrieben habe, um den Erzählstil für „Joscelyne“ auszuprobieren. In der Geschichte findet das Mädchen einen Schlüsselbund und möchte diesen seinem Besitzer zurückbringen. Dieser gehört einem Bruderpaar, das eine Installationsfirma betreibt und die Joscelyne flüchtig kennt. Was Joscelyne in dem Moment nicht gleich bemerkt ist, dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort ist und somit unbeabsichtigt in schräges Zeug geraten ist. Dabei hatte sie, bevor sie den Brüdern am Feldweg begegnet ist, eine Vision, die sie darauf aufmerksam hätte machen können. Über diese Vision, und was damit verbunden ist, werde ich in den nächsten Absätzen berichten.
Wenn du die Geschichte noch nicht gelesen hast, dann solltest du es jetzt tun, denn ich werde Bezug darauf nehmen. Aber keine Angst, ich werde nichts Wesentliches verraten.
Joscelynes Vision
Joscelyne beschreibt ihre Vision wie folgt:
In Cambrie stieg ich aus dem Bus und kaum hatte ich die Stadt hinter mir gelassen, wurde es so schön ruhig. Die Sonne schien und wärmte mich. Es war ein anstrengender Tag gewesen und ich entspannte mich. Da tauchte das Bild von IHM vor meinen Augen auf. Es prickelte in meinem Körper und dann war ich angespannt und hellwach gleichzeitig – als würde Strom durch mich hindurch fließen. Aber in angenehmer Weise. Und die Welt um mich herum verschwand hinter diesem einen Bild. Dort herrschte Zwielicht, denn die Wolken hatten sich rot gefärbt und die Sonne tauchte alles in ein unwirkliches oranges Licht. Die Zeit floss nur noch ganz langsam und was sich vor meinem geistigen Auge abspielte, schien in der Realität nur eine Sekunde gedauert zu haben: ER trug ein Gewand, wie es die Menschen vor der Zeit getragen haben könnten und befand sich mitten in einer Schlacht. Sein Gesicht war so, wie ich es schon einmal gesehen hatte: rundlich, mit hellen Augen, der Bart wild, die Haut hell und seine langen Haare folgten der Bewegung seines Kopfes in einem weiten Bogen. Er schwang sein Schwert, doch sein Blick sah über den rechten Bildrand hinaus. Ich weiß nicht, was er sah, aber der Schock dessen, was er erblickt haben mochte, stand in sein Gesicht geschrieben. Die Schlacht verzieh keinen Moment der Unachtsamkeit und so wurde er in dieser langen Sekunde von einem Speer getroffen, den ein Fußsoldat führte.Belunes Schwert – JamesVermont
In Wahrheit war das meine Vision – oder zumindest ein Tagtraum. Ich hatte über die Entstehungsgeschichte der fiktiven Kleinstadt Laubelmont nachgedacht und irgendwann war ich, wie es Joscelyne beschreibt, spazieren und vor meinem geistigen Auge spielte sich obige Szene ab. Ich notierte mir den Inhalt und vergaß die Begebenheit zunächst wieder. Auf meiner Suche nach Stoff für eine Kurzgeschichte stolperte ich über die Notiz, doch war mir klar, dass ich Belunes Kampf nicht in eine Handlung werde verpacken können. In der Vergangenheit habe ich schon öfter versucht Stoff aus meinen Tagträumen zu nutzen, jedoch fehlte mir immer der Schluss. Und idealerweise beginnt der Entstehungsprozess meiner Geschichten genau dort. Ich beschloss daher, Joscelyne die Vision haben zu lassen und seit dem sieht die Szene in meiner Vorstellung aus wie ein klassisches Gemälde, das in einer Galerie ausgestellt wird – so richtig mit fettem goldenem Rahmen. Die Geschichte konstruierte ich dann um den gefundenen Schlüssel herum, wobei der fiktive Gott Belune das verbindende Element ist.
Über Belunes Kampf
Dass Joscelyne unmittelbar nach ihrer Vision den beiden Brüdern begegnet, ist kein Zufall. Die sind nämlich Schatzsucher und fanden vor ihrer Begegnung mit Joscelyne das namensgebende Schwert, welches die Protagonistin zuvor in der Vision gesehen hat. Wo die Geschichte den Brüdern folgt, soll dieser Artikel dem Inhalt der Vision folgen. Der ist leider für die weitere Folge der Geschichte nicht mehr wichtig, wohl aber für die Welt, in der Joscelyne und ihre Freund:innen leben.
Die Vision beschreibt eine Schlacht in der Antike um den Ort, der später Laubelmont werden sollte. Belune wandelte schon damals Gottheit zwischen den Menschen, allerdings viel physischer, als er es heute ist, was auch der Grund ist, weswegen er in der Schlacht verletzt werden konnte. Seine Frau Beléna kämpfte ebenfalls in dieser Schlacht, allerdings nicht als Kämpferin, sondern als Generälin. Und wie bei Armeen so üblich, ist Beléna gut geschützt und lenkt mit kühlem Kopf die Geschicke am Schlachtfeld. Die Szene in der Geschichte beschreibt Belunes erschrockenes Gesicht und will so verstanden werden, dass er erschrickt, BEVOR er verletzt wird. Die Frage ist, was ihn hat so unachtsam werden lassen. Die Frage will ich gerne beantworten: Es ist die Tatsache, dass es jemanden gelungen ist, Beléna DOCH zu verletzen. Die Vision zeigt den Moment, ab den es für die Region um Laubelmont ständig bergab gehen wird, weil die spirituellen Landeswächter, welche die beiden Gottheiten in dieser Welt verkörpern, nicht weiter ihrer Aufgabe nachgehen können.
Die Idee hinter den Göttern
Die Idee hinter diesem Konzept ist, dass alles in Joscelynes Welt belebt ist. Vom Baum, über Gebäude, Gewässer und natürlich die Landschaft. Götter sind überirdische Wesen und Verkörpern die Ideen von Orten und Gegenständen; ähnlich wie bei uns Menschen, wo die Intention einer Tat vorausgeht. So würde die Intention eines Mordes in einem klassischen Krimi von dem Gott des gewaltvollen Todes verkörpert werden. Für meine fiktive Kleinstadt bedeutet das, dass Beléna und Belune die Verteidiger des Landstriches sind, in dem die Stadt liegt. Wichtig ist die Aussage, dass zwei kämpferische Gottheiten die höchsten Wesen dieses Landstrichs sind. In dieser schicksalhaften Schlacht, in der das Paar verletzt wurde und die Joscelyne retrospektiv miterlebt hat, fand ein Wendepunkt statt, der viel Chaos und Leid nach sich ziehen wird. Das ist für mich als Geschichtenerzähler wichtig, um am anderen Ende des Zeitstrahls Gebäude und Orte vorzufinden, die Joscelyne mit ihrem Freundeskreis erkunden können.
Der Stadt kommt demnach in meinen Geschichten nicht bloß die Rolle einer austauschbaren Bühne zu. Dass Joscelyne darüber nachdenkt, Belunes Schwert analog zu dem gefundenen Schlüssel zurückzubringen wirft vielleicht ein erstes Licht darauf, wo die Geschichten über Laubelmont á la longue hinführen werden. Ich weiß es natürlich schon, aber zu viel möchte ich darüber noch nicht verraten.
Wenn der kleine Einblick in meine Werkstatt mehr Fragen als Antworten hinterlassen hat, dann schreibt mir doch bitte diese Fragen. Ich beantworte diese gerne und greife sie in meinen Blogposts oder in meinen Geschichten auf.
Hier im Blog geht es erst mal mit meinem Jahresrückblick weiter und danach erwartet euch eine neue Kurzgeschichte aus Joscelynes Welt.