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Das Pestopfer

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Ich bin am überarbeiten meines Romans. Und weil gerade die Tage gegen Gewalt an Frauen zu Ende gegangen sind, möchte ich dir einen Blick über meine Schulter gewähren und auf eine Szene blicken, die das Thema im Vorbeigehen streift, aber deutlich sichtbar macht, womit manche Frauen jeden Tag zu tun haben.

Nach der Sache mit dem Ei (Blogeintrag von mir), in der ich über das erste Kapitel meines Romans erzählt habe, dachte ich eigentlich, ich melde mich nach jedem Kapitel meines Romans bei dir. Das ist mir jedoch nicht gelungen, weil mein Schreibflow zu intensiv war und weil einfach das Leben passiert ist. Der erste Entwurf des Romans ist mittlerweile fertig und nun stecke ich mitten in der eigentlichen Arbeit des Schreibprozesses: dem Überarbeiten. Es ist Schritt zwei in meinem Masterplan der Veröffentlichung und somit liegt es nahe, dass ich dir etwas über das zweite Kapitel erzähle, wenn du Lust drauf hast. Aber ich möchte dich vorwarnen: Es könnte sehr schnell zu einer Diskussion um das Thema Gewalt gegen Frauen führen.

Ich muss meine Gewandung wieder mal ausführen. Hmm …

Im zweiten Kapitel lernen wir Joscelynes Clique kennen und erfahren mehr über ihre Mission die fiktive Göttin Beléna zusammenzusetzen. Sie besuchen das große Mittelalter-Stadtfest, wo sie nicht nur auf die Gegenspielerin Joscelynes treffen, sondern auch auf die Gottheiten, die in Laubelmont gestrandet sind. Was sich in der Zusammenfassung ganz okayisch anhört, ist jetzt einen klarer Fall fürs Überarbeiten.

Die Hassliebe zwischen mir und meinen Schreibanweisungen kennst du vielleicht schon. Aber hier sind aus diesem Grund gleich sechs Seiten dem Rotstift zu Opfer gefallen; und wenn ich jetzt gleich darauf eingehe, wirst du vielleicht bemerken, dass wir sehr schnell den Kontext meines Schreibblogs verlassen und uns in einer hitzigen Diskussion wiederfinden könnten.

Schuld an allem ist mein Belune, der fiktive Gott der Gewalt. Wie könnte es anders sein? Er liebt die Spannung. Aber der Reihe nach.

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Ich habe in der Szene eine Reihe von Marktständen auf dem genannten Mittelalter-Stadtfest geplant, an denen meine jugendlichen Held:innen entlang gehen sollen, damit jede:r von ihnen etwas findet, das einen Hinweis auf sein magisches Handwerk liefert. Subtil natürlich. Und natürlich tauchen am Rande dieser Marktstände jeweils eine Gottheit auf, um die Zusammenhänge klar zu machen. Angefangen habe ich mit einer mittelalterlichen Waffenschmiede, an der Leon und Belune zu finden sind. Schon ab dem Punkt ist das Konzept gescheitert, weil Belune eskaliert hat… das hätte ich sehen kommen müssen.

Beginnen wir bei Leon und schauen wir uns diese Figur näher an. Er ist in den Kurzgeschichten noch nicht als Figur aufgetaucht und so eine Mischung aus gechilltem Sunnyboy und einem Kämpfertyp. Und natürlich kämpft er mit dem Schwert in der Arena des Mittelalterfests – weswegen er verschwitzt und mit einem Gambeson bekleidet an diesem Stand steht. Belune ist eigentlich, wenn er nicht seinem Job nachgeht und eskaliert, ein nicht weniger gechillter Typ als Leon und hängt mit seinen Fans und ihm an dem Stand ab. So. Und in diese testosterongeschwängerte Situation kommt eine besondere Frau und bringt etwas mit.

Diese Frau ist ein Teenie, heißt Fleur und ist ebenfalls ein Mitglied in Joscelynes Clique. Um ein Schlaglicht diesen, ebenfalls neuen, Charakter zu werfen, hier ein Ausschnitt aus Joscelynes Erzählung, der vor dem Eintreffen am Stand des Rüstungsschmieds stattfindet.

Fleur ergriff meine andere Hand: „Du bleibst am Besten in MEINER Nähe.“ Es war ein merkwürdiges Gefühl die Hand eines Pestopfers zu halten. Fleur hatte einmal beschrieben, dass ihr das Stadtfest zunehmend weniger Spaß machte, seid ihr Brüste gewachsen waren. Mami, du kannst dir denken warum. Darum beschloss sie den Spieß umzukehren und sich einen Spaß draus zu machen so auszusehen, dass niemand anfassen WOLLTE: „Ich kann nicht jede Viertelstunde jemanden in die Eier treten!“, erklärte sie mir damals. Das klang für mich einleuchtend. Fleur ist es wichtig, in dem was sie tut, die Beste zu sein. Folglich war auch ihr Kostüm das Beste. Ihr Pestopfer war beyond Gewandung, darum darf man es wieder als Kostüm bezeichnen. Der Mantel war verschlissen und von allem Möglichen besudelt. Verbände hingen in Fetzen an ihr und troffen vor Eiter und gestocktem Blut. Ihr ansonsten dreieckiges Gesicht mit dem eckigen Kinn wurde mit Theaterschminke dermaßen entstellt, dass es bei oberflächlicher Betrachtung ein mulmiges Gefühl hervorrief. Sogar die Schneidezähne waren mit schwarzem Lack bemalt, sodass diese wie nicht vorhanden aussahen. [...] Lediglich der Geruch von frischem Kaugummi störte den Eindruck ein wenig.
#01 (in Arbeit) von JamesVermont

Gleich in der ersten Zeile erahnt man den wehrhaften Charakter, den Fleur besitzt. Denn sie ist – anders als Leon – Kampfsportlerin, was die beiden Jugendlichen auf unterschiedliche Weise miteinander verbindet. Leon hat, zusammen mit anderen, Fleur bei ihrer Verkleidung als Pestkranke geholfen, was in weiterer Folge den Konflikt auslösen wird. Fleur geht als Pestkranke verkleidet, weil sie laufend von Männer belästigt wird, die sich von ihrer Schönheit angezogen fühlen und meinen „gegen die Pest immun zu sein“, wie Joscelyne später die Ereignisse zusammenfassen wird.

Am Stand präsentiert Leon die Verkleidung seiner Freundin schon fast als sein Werk und schießt damit über das Ziel hinaus. Obendrein passiert Fleur das, was sie mit der Verkleidung verhindern wollte und wird in der Sekunde, bevor sie dem Täter in die Eier tritt aus der Situation genommen. Zwar beschreibe ich das nicht im Detail, aber einer der Männer (nicht Leon) an dem Stand hat beim Betrachten des Kostüms Fleur an einer Stelle ihres Körpers berührt, an der sie nicht berührt werden wollte.

Die Konflikte in der Szene sind wie ein Schichtkuchen aufgebaut. Die Basis ist die Darstellung des Aufwands, den manche Frauen betreiben müssen, um ihre Ruhe vor ungebetenen Angeboten der Männer zu haben. Dass Fleurs Maßnahme wirkungslos blieb, treibt sie in die Verzweiflung. Aber nicht so sehr wie die nächste Schicht des Konflikts. Was für Fleur jedoch stärker ins Gewicht fällt als die Belästigung ist, dass sie in ihrer Wut beinahe Gewalt gegen einen anderen Menschen angewendet hätte. In dem Spruch: Ich kann nicht jede Viertelstunde jemanden in die Eier treten!, steckt ein Körnchen Wahrheit. Der Gott Belune fungiert in der Szene als Marker für das vorhandene Gewaltpotential. Hätte Fleur die Kontrolle verloren und zugeschlagen, hätte das für sie das Ende ihrer Karriere als Sportlerin bedeuten können. Fleur wird von ihrer Familie auf Leistung getrimmt und hat diese Herausforderung angenommen und damit kommen wir zur letzten Schicht des Konflikts. Joscelyne sagt, dass Fleur bei allem was sie tut, ihr Bestes geben möchte. Das zeigt sich unter anderem darin, dass sie zwar das beste Kostüm am Platz hatte, jedoch die schlechteste Tarnung. Dieser Punkt entschuldigt keinesfalls das Verhalten der Männer.

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Übrigens habe ich diese Szene nicht ohne Grund ausgewählt, denn bis zehnten Dezember (okay, mit dem Artikel komme ich zu spät zur Party) laufen noch die internationalen Tage gegen Gewalt an Frauen. Zwar bin ich weiß, männlich, hab keinen Migrationshintergrund und bin hetero, doch hab ich gelernt, dass ich meine Privilegien nicht spüre und deswegen an der Abschaffung der Gender-Ungerechtigkeit mitwirken sollte. Mein Beruf versetzt mich zum Glück in die Lage, das relativ gut tun zu können und in der Schreiberei ist mir das ebenfalls wichtig.

Darum habe ich die Szene mit Fleur im Roman belassen und dafür die nachfolgenden Seiten gestrichen. Wie oben gesagt, war ein Schlendern entlang der Marktzeile geplant und teilweise auch umgesetzt, aber wir war der Konflikt um das Pestopfer wichtiger und dem Roman geht trotzdem nichts verloren, weil ich das Gestrichene in den folgenden Szenen abfedern konnte. Zwar ist es bitter, einen so langen Text zu kürzen, weil es geleistete Arbeit ist, die nicht bei der Leserschaft ankommt, aber es geht um das Werk im Gesamten. So wie ich in meinem Blog keine Genderdiskussion lostreten möchte, weil es Leute gibt, die das besser diskutieren können als ich; gibt es in dem Roman Joscelyne, die einen anderen Blickwinkel auf Fleur und ihre Probleme hat, weil sie ihre eigenen Probleme kämpft und vier weitere Freunde hat, die ihrerseits die Herausforderungen ihres Lebens meistern müssen. Das bedeutet jedoch nicht, dass man nicht anecken darf. Um ein abschließendes Beispiel für die Ecken und Kanten zu nennen: Joscelyne geht mir Leon an ihrer Seite durch die Stadt und erlebt dadurch ein verändertes Verhalten ihrer Umwelt. Sie beschreibt das so:

Als ich dann mit Leon unterwegs war, war alles in Ordnung. Ja, sogar bestens! Es gibt nicht viel das Leon gefährlich werden könnte. Und wenn ich neben ihm gehe, gilt das auch für mich. Man bewegt sich anders durch die Stadt, wenn man keine Furcht davor hat, an irgendeiner Ecke als zufälliges Opfer herhalten zu müssen. Schüchterne Menschen wechseln die Straßenseite, wenn sie uns kommen sehen. Autofahrer halten vor den Schutzwegen und lassen uns passieren, Frauen lächeln einem zu. … bloß weil man einen Schwanz hat? Oder liegt es einfach an Leon und der Tatsache, dass er eine kleine flauschige Sonne ist (wenn er satt und zufrieden ist)?
#01 (in Arbeit) von JamesVemront

Joscelyne spart in ihrer Schilderung nicht mit Sarkasmus und Ironie. Aber ich glaube den Anstoß darüber nachzudenken, welchen Stellenwert Geschlecht und Stereotypen in unserer Gesellschaft haben, liefert sie definitiv. Vielleicht reicht es aus, von Betroffenen erzählt zu bekommen, wie sie ihre Welt wahrnehmen, um sein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Ich weiß nicht, wie es dir damit geht, aber bei mir wirkt es. Und darum erzähle ich diese Geschichten gerne weiter. Weil Geschichten erzählen ist irgendwie auch mein Job.

Mein nächster Blogartikel wird nicht lange auf sich warten lassen. Es wird eine Vorschau auf 2024 geben und sich mit dem Thema Ziele auseinandersetzen, bevor es dann zum Jahresrückblick 2023 geht. Tja, so schnell vergeht die Zeit.

Lass vielleicht einen freundlichen Kommentar da und ansonsten bis bald.

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von JamesVermont
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JamesVermont aus Klagenfurt am Wörthersee ist Gestalter, Autor, Trommler und Vater 2er Kinder.

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